»Wäre Tönnies nur halb so groß, hätte sich das nicht so ausgewirkt«, sagt der staatlich geprüfte Agrarbetriebswirt, der 2016 den elterlichen Betrieb übernommen hat. Er selbst konnte in den vergangenen Wochen davon profitieren, das mittelständige Herforder Schlachtunternehmen Gocksch (136 Beschäftigte) zu beliefern. Dort werden an vier Tagen pro Woche jeweils rund 800 Schweine geschlachtet und regional vermarktet. Zum Vergleich: Bei Tönnies lag die maximal genehmigte tägliche Quote bei bis zu 30.000 Tieren.
Gegen den „Schweinestau“
Mehrere kleine Schlachthöfe statt der Zentralisierung in einem großen Betrieb könnten dazu beitragen, dass es künftig nicht mehr zum aktuellen »Schweinestau« kommt, ist er überzeugt. Die Erzeugungskette sei detailliert durchgeplant und könne – wie gesehen – heftige Folgen haben.
Alle drei Wochen werden auf Hof Giesselmann rund 400 Ferkel geboren. Insgesamt verzeichnen dessen 250 Sauen im Schnitt 2,3 Würfe à 13 Ferkel pro Jahr. Wenn jetzt ein Zyklus ausfällt, wird es nicht nur eng im Stall, weil die schlachtreifen Tiere in zehn Tagen rund acht Kilogramm zunehmen. »Die fressen weiter, die Kosten steigen, und am Ende muss der Mäster auch noch Abzüge hinnehmen«, erklärt Jens Giesselmann.
Gefordert wird auf Seiten der Schlachthöfe ein Schlachtgewicht zwischen 88 und 102 Kilogramm. Sind die Schweine schwerer, gibt es Probleme mit den Zerlegeapparaturen. Offenbar verlangen Verbraucher nach dem genormten Schwein und haben genaue Vorstellungen davon, wie groß Kotelett oder Schnitzel sein müssen. »Wie wird der Kunde in die Läden gelockt? « fragt Giesselmann mit Blick auf die Titelseiten der wöchentlichen Prospekte. Fleischprodukte zu Dumpingpreisen bestimmen hier das Bild. Die Discounter diktierten den Preis, und das Einkaufsverhalten sei entsprechend, obwohl die meisten Endverbraucher durchaus in der Lage sind, mehr zu bezahlen – wenn man den allgemeinen Lebensstandard zugrunde legt.
Neue Standards müssen sich rechnen
»Ich denke über das Tierwohl-Label nach und räume den Sauen bereits jetzt freiwillig mehr Platz ein, als ich müsste«, betont der 38-Jährige. Er werde sich neuen Standards nicht verweigern, wenn es sich wirtschaftlich lohnt. Rund eine halbe Million Euro müsste er nach eigenen Angaben in den Umbau von Abferkel- und Deckstall investieren, da wäre mehr Planungssicherheit sicher wünschenswert. Eine neugebaute Stallanlage wird für rund 20 Jahre angelegt. Wenn innerhalb dieses Zeitrahmens mehrmals die Bestimmungen geändert werden, sorge das für Verunsicherung bei den Züchtern. »Ich kenne viele Kollegen, die in absehbarer Zeit den Betrieb einstellen wollen oder einfach keine Nachfolger finden«, gibt Giesselmann zu bedenken.
Die neue Nutztierhaltungsverordnung sorgt seiner Ansicht nach dafür, dass in Zukunft die Sauenhaltung in Deutschland abgeschafft und ins Ausland verlagert wird. Aktuell werden etwa 70 Prozent der Ferkel in Deutschland geboren und gemästet. Der Rest wird aus Holland oder Dänemark importiert, wo möglicherweise nicht die hohen deutschen Standards gelten. Vor Corona lagen die Erzeugerpreise für Schweinefleisch noch bei 1,80 Euro pro Kilogramm bzw. 80 Euro pro 25 Kilo-Ferkel. Der einsetzende Preisverfall hat sich infolge der Ereignisse bei Tönnies von 1,60 Euro pro Kilogramm und 60 Euro pro Ferkel weiter reduziert. Derzeit bekommt ein Mäster 1,47 €/kg und nur noch 44 Euro für ein Ferkel.
August 13, 2020 at 11:00AM
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»Wir profitieren vom Regio-Schlachthof« - Westfalen-Blatt
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