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Thursday, July 23, 2020

Wiederaufbaufonds: Deutschland und Frankreich profitieren - WELT

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Die EU-Finanzen sind kompliziert und selbst für Experten nur schwer durchschaubar. Merkel, Macron und die anderen EU-Regierungschefs, die am Wochenende fast 100 Stunden um den Corona-Wiederaufbauplan und den Siebenjahreshaushalt der EU gerungen haben, wurden deshalb auch von Experten unterstützt. Außenstehende konnten erst nach dem Gipfel losrechnen, was die Einigung vom Montagmorgen eigentlich in Euro und Cent bedeutet.

Eine aktuelle Analyse liefert jetzt überraschende Ergebnisse: Ausgerechnet Deutschland und Frankreich sind die größten Profiteure der Verhandlungen über den 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbauplan. Beide Länder werden weit mehr Geld aus dem Wiederaufbaufonds bekommen, als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ursprünglich vorgeschlagen hatte.

Auf dem Gipfel haben die 27 Staats- und Regierungschefs die Zahlungen aus dem Wiederaufbaufonds zusammengestrichen. Vor allem auf Drängen der sogenannten Sparsamen Fünf, zu denen Österreich, Dänemark, Schweden, Finnland und die Niederlande gehören, werden jetzt nur noch 390 Milliarden Euro statt 500 Milliarden Euro verteilt. Hinzu kommen 390 Milliarden Euro an Krediten, die aber von den Empfängern abgestottert werden müssen. Im Fokus der Teilnehmer standen deshalb nur die Auszahlungen.

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Corona-Hilfspaket

Außerdem haben die Regierungschefs die Kriterien geändert, nach denen das Geld aus dem Corona-Topf verteilt wird. Der ursprüngliche Vorschlag von EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn richtete sich vor allem nach Wohlstand: Je ärmer ein Land und je höher die Arbeitslosenquote von 2015 bis 2019, desto mehr Geld soll es bekommen. Auch die Größe der Bevölkerung sollte eine Rolle spielen. Der Einbruch der Wirtschaftsleistung spielte hingegen keine Rolle.

Einige Länder hätten „wirklich Probleme mit dem Plan“, sagte ein hoher EU-Beamte vor dem Gipfel. Viele Länder hielten den Verteilungsschlüssel für unfair, vor allem weil die Corona-Folgen dabei nicht berücksichtigt waren. Kritiker mutmaßten, dass die Kriterien so gewählt waren, dass besonders viel Geld bei Italien landen würde.

Der für Wirtschaftsfragen zuständige geschäftsführende Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, rechtfertigte damals diese Methodik: „Wir wollen den Mitgliedstaaten helfen, die auf diese Krise nur eingeschränkt reagieren können und deshalb Unterstützung brauchen“, sagte er kurz nach der Vorstellung im Gespräch mit WELT. Schließlich sei noch gar nicht klar, wie stark die Wirtschaft in den Mitgliedstaaten tatsächlich unter den Corona-Maßnahmen leidet.

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Der Gipfel hat sich jetzt auf eine neue Methodik geeinigt: Zunächst sollen 70 Prozent der Zahlungen und Kredite nach dem ursprünglichen Schlüssel verteilt werden. In einem zweiten Schritt soll dann im Jahr 2022 darüber entschieden werden, wie die übrigen 30 Prozent vergeben werden.

Dann soll der Einbruch der Wirtschaftsleistung in den Jahren 2020 und 2021 das entscheidende Kriterium sein, die Zahlen stünden dann fest. Außerdem spielen weiterhin der Wohlstand des betreffenden Landes und die Bevölkerung eine Rolle. Dadurch könne man sowohl die wirtschaftlichen Folgen von Corona berücksichtigen als auch die des Brexits, der vor allem Irland, Belgien und die Niederlande wirtschaftlich hart treffen dürfte.

Die Einigung basiert auf einem Vorschlag von EU-Ratspräsident Charles Michel, der die Verhandlungen am Wochenende geleitet hat. Der Vorschlag hatte in den Hauptstädten für große Unsicherheit gesorgt; schließlich ist kaum vorhersehbar, wie die Konjunkturzahlen tatsächlich ausfallen werden – und wie akkurat die nationalen Statistikämter die Zahlen berechnen.

Quelle: Infografik WELT

Merkel, Macron & Co. mussten sich deshalb auf die gleichen Daten stützen, die Forscher der Brüsseler Denkfabrik Bruegel für eine Analyse des Kompromisses genutzt haben. Grundlage der unveröffentlichten Bruegel-Berechnung, die WELT vorliegt, ist die aktuelle Konjunkturprognose der EU-Kommission vom Mai dieses Jahres.

Die großen Gewinner dieser neuen Methodik sind demnach Deutschland und Frankreich. Beide Länder können mit vielen Milliarden zusätzlich aus dem Wiederaufbauplan rechnen, und das, obwohl das Volumen der Zuweisungen, die aus dem Topf gezahlt werden, insgesamt um ein Fünftel zusammengestrichen wurde. Berlin erwartet 13,4 Milliarden Euro mehr aus dem Programm und Frankreich 7,4 Milliarden Euro. Deutschland kann aus dem Programm 47,18 Milliarden Euro an Zuweisungen erwarten, anstatt der zuvor geplanten 33,80 Milliarden. Das sind fast 40 Prozent mehr.

Die prognostizierten Transfers nach Frankreich sind von 43,24 auf 50,66 Milliarden Euro gestiegen. Das sind immerhin gut 17 Prozent mehr. Ausnahmslos alle übrigen Länder müssen mit weniger Geld aus dem Corona-Topf rechnen. Die absolut größten Verlierer sind Spanien und Polen: Warschau kann nur noch 26,8 Milliarden Euro an Zuweisungen erwarten, anstatt wie zuvor knapp 38,2 Milliarden – ein erheblicher Verlust von 11,4 Milliarden Euro.

Die ersten Corona-Hilfsmilliarden sollen bald fließen

Die EU-Kommission teilte mit, dass die ersten Corona-Hilfsmilliarden bald an die ersten Mitgliedsstaaten fließen sollen. Die sind zunächst vor allem für die Finanzierung der Kurzarbeit gedacht.

Quelle: WELT

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte sich eigentlich zu einem der Sieger des Gipfels erklärt. Nach den Verhandlungen am Montagmorgen erklärte er in einer Pressekonferenz mit seinem ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán, er habe „den nationalen Stolz“ verteidigt. Er bezog sich darauf, dass beide Länder zusammen einen effektiven Rechtsstaatsmechanismus verhindert hatten.

Auch Spanien, das von der Corona-Krise hart getroffen ist, muss mit 9,5 Milliarden Euro weniger rechnen. Statt, wie ursprünglich erhofft, rund 80,9 Milliarden könnten jetzt nur noch 71,3 Milliarden nach Madrid fließen. Italien muss lediglich mit einem Minus von einer Milliarde rechnen. Mit einer Gesamtsumme von rund 84,9 Milliarden Euro ist Rom immer noch der mit Abstand größte Bruttoempfänger des Programms. Dahinter folgen Spanien, Frankreich, Deutschland und Polen.

Dabei geht es nur um Bruttobeträge, Deutschland zahlt beispielsweise mehr Geld in den Fonds ein, als es zurückerhält. Die Beiträge für den Fonds bemessen sich nach dem Schlüssel für die Zahlungen in den EU-Haushalt aus dem der Fonds finanziert wird. Die größten Beitragszahler Deutschland und Frankreich und andere Nettozahler profitieren auch davon, dass der Gipfel die Gesamtsumme der Transfers, die von den Beitragszahlern finanziert werden, um mehr als ein Fünftel zusammengestrichen hat.

Die Niederlande und Österreich haben andere Zugeständnisse errungen

Bei diesen Werten handelt es sich nur um die Zahlungen, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Sie fließen vor allem aus dem Wiederaufbaufonds, den die EU-Kommission Wiederaufbau- und Resilienzfazilität getauft hat. Ein kleiner Teil der Summen fließt auch über andere EU-Programme.

Auch die Niederlande und Österreich müssen bei unveränderten Einzahlungen mit weniger Geld aus dem Fonds rechnen: Für Österreich sind es 3,17 statt 4,79 Milliarden und damit ein Drittel weniger als vor dem Wochenende. Der niederländische Premier Mark Rutte hat zugestimmt, dass sein Land statt mit 8,9 Milliarden nur mit 6,4 Milliarden rechnen kann.

Beide Länder haben an anderer Stelle Zugeständnisse rausgeholt. Die Niederländer können einen höheren Anteil der Zölle behalten, die an ihren großen Häfen anfallen und die größtenteils an die EU fließen. Außerdem haben Rutte und sein österreichischer Amtskollege Sebastian Kurz höhere Rabatte für den EU-Haushalt erstritten: Der österreichische Rabatt steigt von 237 Millionen Euro auf 565 Millionen Euro und damit um 138 Prozent.

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Die Änderungen im Verteilungsschlüssel sind damit weitreichender als gedacht. „Der alte Verteilungsschlüssel der EU-Kommission hat ganz klar kleine und arme Länder bevorzugt“, sagt Zsolt Darvas, Leitender Forscher bei Bruegel. „Die Änderungen kommen vor allem größeren Ländern zugute und denen, die von der Pandemie stärker betroffen waren.“ Dass bis auf Deutschland und Frankreich alle Länder mit weniger Geld rechnen können, liegt daran, dass die Gesamtsumme um mehr als ein Fünftel reduziert wurde. Das Plus für Berlin und Paris ist deshalb umso überraschender.

Die ursprünglichen Kriterien Wirtschaftsleistung pro Kopf und Arbeitslosenquote seien unabhängig von der Größe des Landes gewesen, schreibt Darvas. Für den neuen Schlüssel wird die Arbeitslosenquote durch den „Verlust an realer Wirtschaftsleistung“ ersetzt.

So steht es im Beschluss, auch wenn nicht angegeben ist, wie gemessen werden soll. Laut Bruegel-Ökonom Darvas hat die EU-Kommission bei der Verwendung dieses Begriffs in der Vergangenheit den Verlust der Wirtschaftsleistung in Euro betrachtet. Das bedeutet: Je größer eine Volkswirtschaft, desto mehr Euro gehen beim Konjunktureinbruch verloren. In Deutschland natürlich besonders viel.




July 23, 2020 at 02:44PM
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